Ein Land, zwei Welten

Mädchen mit Mut

Zeitlich gesehen machte die Deutschschweiz den ersten Schritt. Im Jahr 1963 gründeten Monika und Silvia Stahel den «FC Goitschel» in Murgenthal AG. Sogleich nahmen sie erfolgreich an mehreren Grümpelturnieren teil.

Während die Argauerinnen munter siegten, tat sich auch etwas in der Westschweiz. Die 11-jährige Madeleine Boll begleitete einen Schulkameraden erstmals ins Fussballtraining beim FC Sion. Das offensichtliche Talent machte Madeleine, via Antrag an den Schweizerischen Fussballverband SFV, im Jahr 1965 zu ersten lizenzierten Fussballerin der Schweiz.

Geschichtsträchtig: die Lizenz von Madeleine Boll aus dem Jahr 1965 (Madeleine Boll)

Die Freude währte nicht lange. Ein paar Monate später entzog ihr der Verband «aus medizinischen Gründen» die Lizenz. In Wahrheit hatte Madeleine zuvor in einem internationalen Spiel zu viel negative Aufmerksamkeit auf sich gezogen, da sie das einzige Mädchen war.

Es verging kein Jahr, und der Verband enttäuschte erneut, diesmal in der Deutschschweiz. Die Goitschels aus dem Aargau wagten als nächsten Schritt, einen Antrag zur Aufnahme in den SFV zu stellen. Dieser lehnte entschieden ab. Immerhin offerierte er als «Trostpflästerli» die Schiedsrichterausbildung für Frauen. So gab Silvia Stahel 1966 ihr Debüt als Unparteiische. Zeitgleich entstand noch der dritte Mitspieler dieser Geschichte.

Entwicklung im Eiltempo

Vom Fussball inspiriert fand sich, auf ein Inserat der Schwestern Ursula und Trudy Moser hin, eine Gruppe Spielerinnen zum Damen-Fussball-Club Zürich (DFCZ) zusammen. 1967 folgte die schweizweite Spielpremiere: FC Goitschel – DFCZ. Danach packten einige der siegreichen Goitschels die Chance und schlossen sich dem FC Aarau an. Der DFCZ hingegen vollzog eigens die amtliche Clubgründung. Im selben Jahr – 1968 – fand in der Westschweiz das erste Frauenfussballspiel statt.

Aus Spass wird Ernst: die Spielerinnen des DFCZ im Training 1968 (seit1968.ch/blog)

Nach diesem Spiel meldeten sich drei Mädchen bei Madeleine Boll. Sie wollten auch Fussball spielen. So gründete der Vater von Madeleine, Jean Boll, 1969 kurzerhand den FC Sion féminines. Kaum war das geschehen, ging es zügig weiter in der Romandie. Es entstanden weitere Clubs, die sich zusammenschlossen und die erste inoffizielle Meisterschaft 1969/70 austrugen. In der Deutschschweiz hingegen verband die einzelnen Teams noch kein organisatorischer Zusammenschluss.

United in Red

Das Jahr 1970 brachte die beiden Welten schliesslich zusammen. In einer Art «Sichtungstraining» nahmen zahlreiche Spielerinnen aus dem ganzen Land teil. Die Trainer bestimmten eine Selektion, und das erste Schweizer Frauennationalteam war geboren. Noch im selben Sommer fand das erste Länderspiel statt.

Die Trikots des FC Schaffhausen fürs erste Heimländerspiel: das Nationalteam 1970 (seit1968.ch/blog)

Das Nationalteam hatte eine Art Vorbildfunktion. Bald schon schlossen sich schweizweit alle Teams zur ersten offiziellen Meisterschaft 1970/71 zusammen. Spielerinnen wie Trudy Streit blieben dem Fussball treu, und Madeleine Boll spielte sogar fünf Jahre im Ausland. Von nun an war und blieb der Frauenfussball eine Welt, ungeachtet der Sprachgrenzen in der kleinen Schweiz.

Funfact: Beim ersten Heimländerspiel im November 1970 spielte das Frauennationalteam in Gelb statt in Rot, da sie noch keine eigenen Trikots besassen. Zudem musste die Torhüterin ihre Nummer 1 selbst auf den Rücken nähen.

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