Das Potenzial direkt vor Augen

Englischer Meister gegen Schweizer Meister, ein scheinbares Tête-à-tête. Nur: Die Britinnen sind den Schweizerinnen einen Schritt voraus. Beim direkten Aufeinandertreffen zwischen Servette Chênois Féminin und Chelsea FC Women in der Uefa Women’s Champions League (UWCL) wird der Schweizer Rückstand sichtbar. Fortschritt ist dringend nötig.

England, das Mass aller Dinge

Gleich 7:0 spielte Chelsea Servette an die Wand. Das Spiel der Gewinnerinnen war einige Level höher. Die Gründe dafür sind vielseitig und lassen sich nicht nur damit erklären, dass ein Team schlichtweg besser ist als das andere. Natürlich ist dem so, jedoch liegt es am Stand des Frauenfussballs in der Schweiz, der einen Coup für Servette schon von Beginn weg verunmöglichte.

Eine von Chelseas (gelb) vielen Cornersituationen im Spiel gegen Servette (bordeauxrot). (Zoe Rüegg, 2021)

In England, wie auch in Deutschland, Frankreich oder Spanien, boomt der Sport. Die Anzahl an Medien, Fans und Sponsoren nimmt stets zu. Daraus resultieren finanzielle Mittel, die den Spielerinnen der britischen «FA Women‘s Super League» ein Profidasein als Fussballerin erlauben. Das bedeutet: Voller Fokus auf das Training, ausgeglichene Regenerationszeit und sorgenfreier Umgang mit Existenzgrundlagen.

Die Schweiz, noch ohne Platz im TGV

Von diesem Luxus kann eine Schweizer «Profispielerin» zur Zeit nur träumen. Für sie sieht es komplett anders aus, wie das Beispiel von FCZ Frauen-Stürmerin Meriame Terchoun zeigt. Die 26-Jährige Spielerin des Nationalteams hat eine 60-80%-Anstellung neben dem Sport, trainiert vier bis fünf Mal pro Woche und spielt am Wochenende einen Match in der höchsten Liga des Landes. 

Unter dem Strich ergibt das ein Arbeitspensum von etwa 120% – hauptberuflich Fussballerin zu sein ist unmöglich. Allerdings gestatten jüngste Fortschritte ein Halbprofidasein mit 50% Lohn, wie etwa bei den FC Basel Frauen.

Nichtsdestotrotz bleibt die Situation eine Herausforderung. Im Falle einer Verletzung haben die Sportlerinnen keinen finanziellen Rückhalt, sie müssen selbst eine Rehabilitation beantragen und bekommen nur wenig Unterstützung vom Verein. Im schlimmsten Fall verlieren sie zusätzlich ihren Job, wie es Terchoun nach dem zweiten Kreuzbandriss passierte.

«Als ich mir das zweite Mal das Kreuzband riss, war ich gleich doppelt bestraft, weil ich da auch den Job verlor.»

Meriame Terchoun

Schliesslich liegt die Schweiz auch in Sachen Infrastruktur weit zurück, trotz deren enormer Wichtigkeit. So profitiert die Spielerinnen bei einem Club wie Chelsea von Indoor- sowie Outdoortrainingsplätzen, Whirlpools, umfassendem Medical Staff und eigenem Stadion. Hingegen ist das «Stadion» der FCZ-Frauen zugleich auch das Trainingsgelände für sämtliche Teams des FCZ. Ausserdem mangelt es an ärztlichen Betreuungspersonen, was wiederum bedeutet, dass die Spielerinnen in einer Verletzungssituation auf sich alleine gestellt sind.

22 Spielerinnen auf dem höchsten Level – und keine verdient einen fixen Lohn. (Zoe Rüegg, 2021)

Unter den gegebenen Umständen – inklusive aller zusätzlicher Belastungen – war es beim UWCL-Spiel beinahe unmöglich für Servette, das Niveau des hochkarätigen und hervorragend trainierten Chelsea-Kaders zu halten. 

Der Direktvergleich zeigt: Die Schweiz ist im Rückstand. Gleichzeitig gilt :«der TGV fährt» – und die Schweiz muss schauen, dass sie darin auch einen Platz bekommt. Sprich, dass sie sich entwickelt und den Anschluss an Europa nicht verliert. Indessen lässt sich eine positive Prognose geben: Die Schweiz wandelt sich. Einen grossen Beitrag leistete der neue Sponsor AXA, der mit den nötigen finanziellen Mitteln in die oberste Schweizer Frauenliga einstieg. Aber es braucht Zeit. Und: Im Rückspiel bot Servette Chelsea die Stirn, es resultierte ein 0:1.

Eine Antwort auf „Das Potenzial direkt vor Augen

Add yours

Hinterlasse einen Kommentar

Eine WordPress.com-Website.

Nach oben ↑